Auf den Spuren der Oberen Roggenmühle
Ein Denkmal der besonderen Art ist „Heckentoni“ Anton Seitz, der letzte Käufer der Oberen Roggenmühle 1949. Unter ihm begann, was die Mühle heute darstellt: ein ori-ginelles Ausflugslokal mit Forellenzucht. Der reiselustige Günzburger erwarb das verwahrloste landwirtschaftliche Anwesen von einem Makler.
Die Einsamkeit und das große Gelände in dem engen Tal hatten es ihm angetan. Alles den fünfziger Jahren Wanderer am Wochenende Stärkung und ein Dach über dem Kopf suchten, holte Seitz mit dem Fahrrad die ersten Kästen Bier aus Eybach und bot im Matratzen- und Strohlager für 35 Pfennige pro Nacht Quartier. Den 1984 verstorbenen Anton Seitz kennen ältere Einkehrer noch als kantigen und lustigen Stubenmusiker, der gemeinsam mit Sohn und Enkel die Gäste musikalisch unterhielt.
Der Enkel Martin Seitz mit seiner Familie ist heutiger „Mühlenherr“ im Eybtal. Auf den ersten Blick traut man dem in den achtziger Jahren renovierten und erweiterten Anwesen sein stolzes alter nicht zu.
1371 soll die Mühle von einem Graf Hansen von Rechberg erbaut worden sein. Michael Köpf erhielt sie 1875 von seinem Vater und modernisierte um die Jahrhundertwende die Mühlenantrieb, der heute noch besteht.
Statt drei nebeneinander liegenden Holzrädern im Durchmesser von drei und fünf Metern ließ er für die damalige Zeit High-Tech einbauen: ein 5 Meter 60 großes Stahl-Rad. 1917 stellte der letzte Müller Georg Köpf den Mühlenbetrieb ein. Noch bis 1962 wurde mit dem Wasserrad in der Mühle Strom erzeugt.
Das schwere Mühlrad und die Erschütterungen haben die Roggenmühle stark verzogen. Bis zu einem Meter beträgt der Giebelunterschied, mit der Folge, dass die der Straße zugewandte Seite völlig durchnässt wurde und das Fachwerk entsprechend verrottete.
Das Landesdenkmalamt erlaubte, die Mühle an dieser Stelle zu verlängern. Auch einen Küchenanbau genehmigte das Amt. Familie Seitz renovierte das Gebäude zwar kräftig, doch um das Flair des Hauses zu erhalten, wurden die Decken „wieder krumm hochgemacht“. Manchmal träumt Martin Seitz zwar von einem neuen, ebenen Haus mit geraden Wänden, an denen überall ein Schrank stehen könnte. Doch nur kurz. In der Oberen Roggenmühle ist er geboren, nur hier will er wohnen, auch wenn alles krumm und schief ist. Und die Sonne in dem engen Tal nur wenige Stunden scheint. „Ich brauche das Rauschen des Wassers.“
Immer noch spielt das Wasser für die Obere Roggenmühle eine wichtige Rolle. Trieb es früher über Jahrhunderte das Mahlwerk an, so ist es seit den fünfziger Jahren die Grundlage für den neuen Erwerbszweig der Mühlenbesitzer, die Fischzucht.
Das sprudelnde Quellenwasser aus dem „Mordloch“ füllt die Forellenteiche und fließt am Ende der Mühle in die Eyb. Im Winter dient es der Herstellung einer Natureisbahn auf dem Parkplatz. Das freigelegte, inzwischen bemooste Wasserrad dreht sich nur noch selten zur Demonstration für die Besucher und erinnert an die ursprüngliche Funktion des Gebäudes als Getreidemühle.
1775 kam es zu einem regelrechten Wasserstreit zwischen dem Roggenmüller und den Bauern. Die hatten für ihre Wiesen im Roggental Kanäle gezogen und die Eyb mit Steindämmen gestaut. Der Bach trocknete aus und die Fischbestände verendete. Amtmänner und fünf Wassergeschworene der Reichstadt Ulm trafen sich als Streitschlichter für die Mühle ein lebenswichtiges Urteil.
Die Bauern müssen die Dämme räumen und das Bachbett instandhalten. Der Bachlauf hatte immer „acht Schuh“ breit zu sein, etwas mehr als zwei Meter, die Bauern durften kein Wasser mehr in ihre Wiesen ableiten. Oberwasser für die Roggenmüller.
Auch in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich der Wirtschaftbetrieb prächtig. Das Ausflugslokal mit Biergarten, Spielplatz und Fischzucht ist an schönen Sommerwochenenden stark besucht. Aus „Heckentonis“ Liebe zur Musik entstand seit den sechziger Jahren das volkstümliche Maisingen und Kleinkunstveranstaltungen bis in den Herbst hinein.
Und noch immer trifft sich ein Stammtisch von Volksmusikern regelmäßig in der Mühle. Was fehlt, sind die Erzählungen des alten Anton Seitz, der den Gästen gerne von seinen Reisen berichtet hatte: etwa von seiner Arbeit als Landvermesser in Brasilien oder seinen Zugreisen in die Mittelmeerländer. Den Opa, so weiß Martin Seitz, hat oft das Fernweh gepackt. Dann sei er ohne geplantes Ziel auf und davon gezogen, bis man ihn Wochen später wieder auf dem Geislinger Bahnhof abholden dürfte.